Von Antigua führt mich mein Weg nach langer Zeit wieder einmal an die Küste. Die steilen Bergstrassen Guatemalas liegen hinter mir. Durch fruchtbares Weideland und riesige

mischt sich diesmal eine ordentliche Portion Unbehagen. Ich weiss einfach zu wenig über dieses Land und verbinde es
gedanklich vor allem mit Bandenkriminalität,
Drogen und Attentaten. Aber wie so oft ist das Reisen auch in diesem Fall eine grosse Chance, Vorurteile über Bord zu werfen, um meine Sicht der Dinge der Wirklichkeit anzupassen.

Obwohl ich normalerweise mit Hitze gut zurecht komme, stosse ich hier manchmal wirklich an meine Grenzen. Die Strecke entlang der so genannten Balsamkueste, erinnert mich ein wenig an die felsige und zerfurchte Küste in Oregon und bietet fantastische Ausblicke auf den Pazifik. Leider wird dieser Genuss durch die erbarmungslose Sonne und das ständige Auf und Ab stark getrübt. Der Name Balsamkueste stammt übrigens aus einer Zeit, in der noch Balsambäume die Hänge säumten. Der aus diesen Bäumen gewonnene Balsam wurde bereits von den Mayas und Azteken als Medizin verwendet.

Nach langer Zeit treffe ich wieder einmal auf einen Reiseradler. George aus Ontario ist auf dem Weg Peru. Nach einer kurzen Unterhaltung stellen wir beide fest, dass wir ausser dem Fahrrad als Reisemittel so gut wie nichts gemeinsam haben. Es ist für mich erstaunlich, wie zielgenau er an allem Sehenswerten vorbeisteuert. Sein Interesse gilt vor allem dem Sammeln von Kilo- und Höhenmetern, weniger der Kultur, den Ländern und den Menschen.


Eine Nacht verbringe ich in der Hafenstadt Ajacutla. Sie schien einzig und allein aus Bars, Nachtlokalen und Billiardsalons zu bestehen. An jeder Ecke lungern zwielichtige Gestalten herum, deren Blicke mich auf Schritt und Tritt verfolgen. Ich verkrieche mich lieber in mein Hotelzimmer und mache mich am nächsten Morgen zügig aus dem Staub.
Die Menschen in El Salvador sind meist freundlich und Fremden gegenüber sehr aufgeschlossen. Die Armut, die einem auf dem Weg durch dieses Land begleitet, ist allerdings bedrückend und macht nachdenklich. Es ist erschütternd in welch trostlosen Hütten und Barracken ein Grossteil der Bevölkerung leben muss.
Wenn man dann in einer größeren Stadt eine moderne Shoppingmall mit zahlreichen luxuriösen Geschäften betritt, hat man das Gefühl, sich auf einem anderen Planeten zu befinden.
Diese extremen Auswüchse des Kapitalismus finden ihren Ausdruck unter anderem in einer immens hohen Kriminalitätsrate und eigentlich ist es erstaunlich, dass man sich hier als Tourist trotzdem fast immer willkommen fühlt und unbehelligt und in Frieden reisen kann. Ich versuche mir aber immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass es neben jener Wirklichkeit, die man als Reisender wahrnimmt, noch eine zweite, weit weniger erfreuliche geben muss. Viele Geschäfte, selbst kleine Lebensmittelläden sind vergittert oder von bewaffneten Securityleuten bewacht. Unterwegs beobachte ich, dass sogar ein Lieferwagen, der Brathühner ausliefert, bewacht wird, als wäre es ein Geldtransporter. Liest man Zeitungen, stellt man fest, das Morde und Attentate an der Tagesordnung sind. Die Spirale der Gewalt, in denen einige lateinamerikanische Länder gefangen sind, zu durchbrechen, zählt wohl zu den größten Herausforderungen, die es in Zukunft zu bewältigen gilt.
Als ich nach nur 5 anstrengenden Tagen die Grenze zu Honduras erreiche und gedanklich schon jenseits der Grenze unterwegs bin, wird mein Reisefluss plötzlich jäh gebremst.
Ein Schild weist mich darauf hin, dass es nur noch 2 km bis zur honduranischen Grenze sind. Grenzübergänge sind für Radfahrer, vor allem wenn sie alleine unterwegs sind, manchmal heikle und nervenaufreibende Orte. Immer lungern haufenweise Gestalten herum, die irgendetwas von einem wollen. Manchmal wird man von Schalter zu Schalter geschickt, muss sich in Schlangen einreihen, Formulare ausfüllen, Gebühren bezahlen und darf dabei auf keinen Fall sein Rad aus den Augen lassen.
Aus diesem Grund habe ich es mir angewöhnt, kurz vor einer Grenze alles vorzubereiten, um dann im Getümmel, nicht mehr in meinen Taschen kramen zu müssen.
Dann plötzlich passiert etwas seltsames, das ich mir bis heute nicht erklären kann. Als ich entschlossen den Weg zur Grenze antrete, hebt mich schon nach wenigen Metern ein gewaltiger Schlag auf die Nase aus dem Sattel. Ich wollte zwischen zwei Pfosten durchfahren, zwischen denen ein unsichtbares Hinweisschild befestigt war.
Benommen liege ich auf dem Boden und versuche erst einmal zu realisieren, was passiert war. Blut läuft mir übers Gesicht, die Nase fühlt sich taub an und alles dreht sich um mich herum.
Leider ist heute Sonntag und das halbe Dorf hat das Missgeschick beobachtet. Bald bilden sich ganze Menschentrauben um mich herum, und jeder hat eine Meinung oder einen Ratschlag parat. Wie gerne hätte ich mich jetzt unsichtbar gemacht, so unsichtbar wie dieses hintertückische Schild von vorhin.
Aber natürlich meinen es die Leute wirklich gut mit mir, und sie bringen mir Eis zum Kühlen der geschwollenen Nase und Wasser, um mir das Gesicht zu waschen.
Die Meinungen reichen von "dringend ins Spital", bis "ist ja nix passiert". Anscheinend habe ich eine ziemlich tiefe und klaffende Wunde neben dem rechten Nasenflügel. Nach einer Weile raffe ich mich auf und radle weiter zur Grenze. Dort gibt es einen Arzt, der mich untersucht und der Meinung ist, dass man die Wunde eigentlich nähen sollte. Mich beschäftig allerdings weniger die Wunde, als vielmehr mein Nasenbein. Es fällt mir ein riesiger Stein vom Herzen, als sich herausstellt, dass ziemlich sicher nichts gebrochen ist. Und dann darf ich wieder einmal die grenzenlose Hilfsbereitschaft der Menschen in Lateinamerika erfahren. Zwei Polizisten bringen mich ins etwa 20 km entfernte Spital nach Santa Rosa. Während ich behandelt werde, passen sie draussen auf mein Fahrrad auf. Der Arzt im Spital versucht, die Wunde mit einer ausgeklügelten Pflasterkonstruktion zu schliessen. Wenig überraschend löst sich das Ganze auf dem Gemisch aus Staub, Sonnencreme und Blutresten schon beim Verlassen des Spitals.
Die beiden Polizisten bringen mich anschliessend noch zu einer Apotheke und zu einem dieser Stundenhotels, in dem ich diesmal mit einer Polizeieskorte im Rücken einen richtig guten Preis aushandeln kann.
Auf der Ladefläche des Streifenwagens habe ich das Gefühl, in den Blicken der Menschen, die mich mit dem zerschlagenen Gesicht und in Polizeibegleitung sehen, ein wenig Mitleid zu erkennen. Sie denken bestimmt, ich wäre überfallen worden.
Das Bemerkenswerte, neben der überwältigenden Hilfsbereitschaft, ist in dieser Situation, dass niemand Geld von mir annehmen will. Das Spital verlangt für die Behandlung ganze 4 Dollar.
Am nächsten Tag geht es dann wieder zum Grenzübergang, an dem ich ja schon ein bekanntes Gesicht bin. Nochmals habe ich die Gelegenheit, mich beim Arzt und den Polizisten für alles zu bedanken, bevor ich neuen Horizonten entgegenradle.
Und immer wieder Früchte am Strassenrand:
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Mango paradise... |
Noch ein paar Eindrücke entlang des Weges:
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Geier werden in Lateinamerika sehr geschätzt. Sie tragen hier viele Namen und man möchte sich nicht vorstellen, wie es hier aussähe, wenn es sie nicht gäbe. . |
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Kokosmilch - ein willkommener Energieschub. |
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Pupusas - eine Art gefüllte Tortillas. Einfach, billig und schmeckt ausgezeichnet! |
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Flüsse sind die Lebensader des Landes. |
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Wäsche waschen und baden geht in einem... |
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Geduld ist hier überlebenswichtig - 100e Lkw's mussten 3 Tage lang an der Grenze warten, weil die Zöllner keine Siegel mehr hatten. |
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Frei sein... |
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