Donnerstag, 13. Oktober 2011

The incredible Oregon coast...




Nach drei Tagen Grossstadtrummel in Vancouver, mache ich mich wieder auf die Reise. Ich nehme die Fähre nach Vancouver Island. Da ich mir noch einige schöne Herbstwochen in Kalifornien erhoffe, verzichte ich darauf Vancouver Island weiter zu erkunden und entschliesse mich spontan, ein Schiff hinüber nach Washington zu nehmen. Da die Fähre erst um halb sieben abends ablegt, verabschiede ich mich mit einem ausgedehnten Stadtrundgang durch die Hauptstadt Victoria aus Kanada. Eine sehr gemütliche Stadt mit viel britischem Flair, zahlreichen historischen Gebäuden und einer schönen Hafenpromenade. 

Abendstimmung in Vancouver
Blick auf Victoria von der
Fähre nach Port Angeles

Die Wiedereinreise in die USA verläuft erfreulich reibungslos. Ein freundlicher Officer stellt die üblichen Fragen, konfisziert eine Orange und entlässt mich ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Vor mir liegt ein ausgedehntes Lichtermeer und schnell merke ich, dass ich mich wohl von den gemütlichen Kleinstädten, aus denen man schnell mal so hinausradeln und irgendwo campen kann, verabschieden muss. Eine halbe Stunde radle ich bereits stadtauswärts, es ist schon stockdunkel, ich bin hundemüde und immer noch ist kein Platz in Sicht, an dem man halbwegs sicher übernachten kann. Für Motels oder Hotels bin ich zu "kluppig". Es gibt Momente, da geht mir meine spontane Art des Reisens selber auf den Geist.

Schliesslich finde ich einen RV Platz etwas abseits der Strasse. Rv's sind die überdimensionierten amerikanischen Wohnmobile, in denen Rentner durch die Staaten touren oder sich manchmal auch irgendwo fix für längere Zeit niederlassen. In diesen RV's kommt die "think big" Mentalität der Amerikaner sehr treffend zum Ausdruck. Gross wie Reisebusse, hängt hinten meist noch ein Auto dran und erst auf Campingplätzen offenbaren sie ihre wahre Größe, indem sie  alle möglichen Erker und Nischen hydraulisch ausfahren. 
Diese Dinger sind selbst vielen Amerikanern nicht geheuer und vielleicht das Erstaunlichste daran ist, dass man keinen besonderen Führerschein für diese Ungetüme braucht. Manche RV-Fahrer sind sehr bemüht, uns Radfahrer immer wieder an die Hierarchie auf Amerikas Strassen zu erinnern, indem sie keinen Zentimeter von ihrer Linie abweichen. Aber heute sind mir die Rv's willkommen und ich stelle meine Zelt irgendwo zwischen die Wohnmobile. Am Morgen in aller Herrgottsfrühe mache ich mich aus dem Staub, ohne dass mich jemand bemerkt hätte.

Ich nehme den 101 Highway Richtung Westen
durch den Olympic Nationalpark. Dieser Park gehört zu den letzten grossen Wildnisregionen Nordamerikas und ist die Heimat seltener vom Aussterben bedrohter
Tier- und Pflanzenarten. Die Gegend ist dünn besiedelt. Mehrere Indianerreservate, deren Bewohner vor allem von der Lachsfischerei leben und einige Kleinstädte, die rund um die industrielle Holzverarbeitung entstanden,  sind die einzigen Siedlungen auf dieser sonst von dichtem gemäßigten Regenwald bedeckten Halbinsel. Die Olympic-Penninsula gehört zu den regenreichsten Gebieten ganz Nordamerikas. Ein ständiger Dunst liegt über der Landschaft und man kann die Feuchtigkeit in der Luft richtig spüren. Es ist ein wirklich
Gemäßigter Regenwald
im Olympia Nationalpark
beeindruckendes Gefühl durch diese märchenhaften Wälder zu wandern. Bizarre Labyrinthe aus riesigen, knorrigen  moosbedeckten  Bäumen.
In langen Zotten hängen  triefende Farne von den Ästen. Der mit dichtem hellgrünen Moos bedeckte Waldboden verströmt einen erdig und modrigen Geruch. Dieser Wald hat wahrlich etwas gespenstisches an sich und man würde sich nicht wundern, Elfen, Gnomen oder sonstigen Märchenwesen zu begegnen. Es war ein langer, zäher Kampf, bis man die  letzten noch verbliebenen Bäume dieses ursprunglichen Waldes  retten konnte und erst als man Präsident Roosevelt dazu bewegen konnte, durch diesen wunderbaren Wald zu spazieren,  wurde er sofort unter Naturschutz gestellt und später dann zum Nationalpark erklärt. Im Moment sind Bemühungen im Gang, den Nationalpark zu erweitern. Aber es wird einem schnell klar wie komplex ein solches Vorhaben ist, wenn man die vielen Protestschilder sieht, auf denen von Landraub und Arbeitsplatzvernichtung die Rede ist.

Zedernholz
In diesen Tagen hat sich die Holzindustrie unter
anderem auf Zedernholz spezialisiert.







Das Radfahren in diesem Teil Washingtons ist sehr angenehm. Es herrscht kaum Verkehr und die mit riesigen Baumstämmen beladenen LKW's sind meist freundlich und rücksichtsvoll und versüßen einem das Radfahren, indem sie noch minutenlang diesen angenehmen, eigentümlichen Geruch von Zederholz hinter sich herziehen. Im Gegensatz zu Alaska und Kanada muss ich hier kaum Lebensmittel mit-schleppen, weil man mindestens  einmal am Tag in einen größeren Ort kommt, um die Vorräte aufzustocken. 
Es ist ein entspanntes Reisen und man kann sich ganz den Reizen der Natur hingeben oder auch manchmal tief in seinen Gedanken versinken.  
Die Strasse schlängelt sich durch's Hinterland und gibt nur selten den Blick auf den Pazifik frei. Dieser zeigt sich  an dieser Küste von seiner rauesten Seite,  wenn seine gewaltigen Wogen angeschwemmte Baumstämme wie Zündhölzer an das steinige Ufer katapultieren. Wahrlich kein Ort für romantische Strandspaziergänge.  
Cresent Lake
Gletscherwasser vom 2400 m hohen Mt. Olympia
sammelt sich im Cresent Lake und im Lake Quinault,
die mit ihrer intensiven tiefblauen Farbe dem
Auge einen  beeindruckenden Kontrast zu den dunklen
Grüntönen des Regenwaldes bietet. 




Dave in Action
Von den vielen Begegnungen einer Reise werden einige für immer in Erinnerung bleiben. Irgendwo zwischen Forks und Astoria treffe ich Dave, aus Kalifornien und dessen treuen Freund Jasper, der in einem Anhänger mitreisen darf.  Ich schätze ihn um die 70 und er pendelt seit 9 Jahren zwischen Vancouver und Los Angeles hin und her.


Wie ein Zugvogel reist er immer der Sonne und dem Sommer hinterher. 
Wir radeln ein Stück gemeinsam und kochen dann Kaffee. Er erzählt von den Höhen und Tiefen eines ereignisreichen Lebens. Nach einem schweren Unfall, sprang  er dem Tod  noch einmal von der Schippe.  Er kämpfte sich irgendwie zurück ins Leben verlor auf diesem langen Weg  aber seine Frau, seinen Beruf und seine Heimat. Mit einem verschmitzten Lächeln erzählt er mir, dass er seit dem Unfall mit ewiger Jugend gesegnet sei, da er durch die schweren Gehirnschäden auf den intellektuellen Stand eines Kindes zurückgeworfen wurde. Seitdem gibt ihm das Reisen mit dem Fahrrad den notwendigen Halt. 

Nach einigen Tagen in Washington radle ich über die
Auf der Brücke nach Astoria
eindrucksvolle fast sieben Kilometer lange Astoria/Megler Bridge und überquere damit gleichzeitig die Grenze zu Oregon. "Oregon's Pacific coast will definitely knock you off your socks", solche und ähnliche Schwärmereien habe ich in den vergangenen Tagen oft gehört und ich freue mich riesig auf den etwa 600 km langen Abschnitt bis zur kalifornischen Grenze. 

Oregon gehoert ganz sicher zu den fahrradfreundlichsten Staaten in den USA. Es gibt eigene Radkarten mit genauen Höhenprofilen und allen Angaben die für Radfahrer wichtig sind. In regelmäßigen Abständen gibt es sogenannte Hiker/Biker Campingplätze auf denen eine Ecke nur für Radfahrer reserviert ist. Fuer 5 Dollar bekommt man einen Zeltplatz, Wasser und eine heisse
cycling in style
Dusche.
Mehr braucht man nicht zum Glück.
Dementsprechend viele Radfahrer sind  hier auch
unterwegs und auf den Hiker/Biker Plätzen trifft man
alle Arten von Reiseradlern. Vom Wochenendtrip bis zur
grossen Weltreise. 


Während die Pazifikküste in Washington meist wild,
steinig und naturbelassen ist, warten in Oregon mit
Seaside und Cannon Beach zwischendurch fantastische
weisse Sandstrände, denen riesige Felskloetze den besonderen Charme, rauher ungezähmter Natur verleihen.

Cannon Beach
Cannon Beach

Entlang der Kueste reiht sich ein State Park an den anderen.
Fast 70 sind es  insgesamt.  Zweck der State Parks ist es, Naturlandschaften von herausragender Schönheit zu schützen. Die Amerikaner nehmen diese Aufgabe
wirklich sehr ernst und die Regeln und Auflagen in diesen Parks sind ziemlich streng. Die Küste ist hier stark zerklüftet und wie riesige Finger greifen  Ausläufer vom Küstengebirge herab und reichen weit in den Ozean hinein. Immer wieder führen Seitenstrassen vom Highway 101 zu diesen "Capes" hinaus und ermöglichen lohnenswerte Abstecher auf ruhigen Strassen. Die Nacht am Cape Lookout wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Die ganze Nacht tobt ein gewaltiger Sturm und es herrscht förmlich Weltuntergangsstimmung. Mit unvorstellbarem Getöse krachen  gewaltige Wellen gegen das Kap und orkanartige Böen fegen über mein Zelt. Mit aller Kraft drücke ich die Zeltstangen nach aussen und beobachte gleichzeitig wie langsam Wasser durch den Zeltboden sickert. Glücklicherweise flaut der Wind zum Morgengrauen ein wenig ab und überstürzt trete ich die Flucht ins Landesinnere an.  Entspanntes, gemütliches Radfahren ist einem an Oregons Küste leider nicht vergönnt.  
Das Höhenprofil auf der Landkarte gleicht einem Sägeblatt. Immer wieder  steigt die Strasse ein paar Hundert Höhenmeter an und fällt dann wieder steil  zur nächsten Bucht hinab.
Von oben hat mein meist eine fantastische Aussicht auf die Küste, kann Seelöwen bei der Jagd beobachten oder sieht weit draussen im Meer Wale vorbeiziehen.

Auf den wenigen flachen Passagen dämpft ein hartnäckiger Südwind die Radlereuphorie. Aber angesichts der Faszination dieser  ursprueglichen zerklüfteten Küste, der faszinierenden Ausblicke und Stimmungen  und der geballten  respekteinflößenden Urkraft, mit der dieser gewaltige Ozean diese Landschaft formt, verkommen die körperlichen Anstrengungen zur Nebensache.






















Neben den beindruckenden Naturerlebnissen sind es aber vor allem auch die Begegnungen mit den Einheimischen die eine Reise in diesem Land zu etwas wirklich Besonderem machen. Die Freundlichkeit, die Hilfsbereitschaft, die Herzlichkeit und das Interesse, das einem von den Menschen hier entgegengebracht wird ist wirklich außergewöhnlich. Amerikaner sind äußerst  begeisterungsfähige Menschen und eine Reise mit dem Fahrrad ist für viele eine wahrlich heldenhafte Leistung. Manchmal nimmt diese Begeisterung erstaunliche Züge an. So steckt mir   ein älterer Herr zu meiner Verblüffung 20 Dollar zu und meinte er könne so vielleicht ein wenig an meinem Abenteuer teilhaben. Immer wieder ergeben sich lange, herzliche Gespräche mit Menschen, die dankbar sind für außergewöhnliche Geschichten. 
Und immer wieder wird man überrascht davon, wie oft sich von der bewegten Geschichte dieses Landes ein Bogen in die Gegenwart spannt. 
Angelockt vom fruchtbaren Land, aber auch von Berichten über sagenhafte Goldfunde, kamen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts scharenweise Einwanderer über den so genannten Oregon Trail in den Nordwesten, darunter viele Deutsche und Österreicher . Erstaunlich oft tragen Einheimische typisch deutsche Namen oder erzählen von Verwandten in Deutschland, Österreich oder anderen europäischen Ländern.  Orte wie Langlois lassen fast ein wenig Heimatgefühle aufkommen. 
Was mir immer wieder auffällt, ist die hohe professionelle Freundlichkeit in diesem Land. Sei es auf Campingplätzen, in Fast-Food-Restaurants, in Supermärkten oder sonst irgendwo, immer wird man ausgesprochen freundlich und zuvorkommend behandelt. 

Wirklich ganz selten trifft man Menschen, die einem weniger gut gesinnt sind. Idioten sind offensichtlich ziemlich gerecht auf   Welt verteilt.  Eines der ganz wenigen Beispiele, an die ich mich erinnere ist dieser grobe,  Pickup-Fahrer, Typ Holzfäller, dem ich ein wenig zu weit links fuhr. Er hat mir einen Satz zugerufen, in den er gleich 4 mal das Wort "fuck" gepackt hat.

Etwa auf halber Strecke entlang der Küste Oregons verändert sich die Natur schlagartig. Als willkommener Kontrast weichen die ueppigen sattgrünen Wälder  plötzlich einer wüstenhaften Landschaft mit bis zu 150 m hohen Sanddünen. Im krassen Gegensatz zum beschaulichen Charme der Landschaft, haben motorsportbegeisterte Amerikaner diese Gegend als Revier für ihre dröhnenden Quads und Wuestenbuggies ausgesucht.


Zu den Höhepunkten einer Reise entlang dieser Küste,
zählen  auch die malerischen Leuchttürme, die schon
seit über hundert Jahren über dem stürmischen Ozean
thronen, um den Schiffen im Küstennebel Orientierung
zu bieten. 



Besonders schön sind die Morgenstunden, wenn die
ersten Sonnenstrahlen durch die  Nebelschwaden dringen und die felsige Küste in ein bezauberndes Licht tauchen.






Kurz vor Crescent City weist ein Schild darauf hin, dass man die Grenze zu Kalifornien überschreitet. Wieder beginnt ein neuer Reiseabschnitt und auf den rund 600 km nach San Francisco warten hoffentlich viele schöne Erlebnisse und vor allem viel Sonne und das Lebensgefühl, für das dieser Staat so berühmt ist.



Noch ein paar Impressionen...
























1 Kommentar:

  1. Hallo Markus,
    wir freuen uns wieder von dir zu lesen und deine beeindruckenden Bilder zu sehen. Das Fernweh plagt uns schon sehr, wenn wir deine Berichte lesen.
    Für uns nähern sich bald die Herbstferien, darauf freuen wir uns sehr - auch wenn es nur eine Woche ist - .
    Für California alles, alles Gute und liebe Grüße aus dem Herrenried
    Beate

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