In Coban erfahre ich zufällig von der gemeinnützigen Organisation Ecoquetzal, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den letzten verbliebenen Rest des ursprünglichen Nebelwalds rund um Coban zu erhalten. Sie ermöglicht Touristen durch einen Aufenthalt bei einheimischen Maya-Familien einen tieferen Einblick in deren Kultur und Lebensweise. Da ihnen dadurch ein regelmäßiges Einkommen ermöglicht wird, verpflichten sie sich im Gegenzug dazu, auf die Rodung weiterer Waldflächen zu verzichten. Es gibt dieses Projekt schon seit fast 10 Jahren. Die Nachfrage bei Touristen hält sich allerdings in Grenzen. Nur alle paar Wochen bekommt eine Gastfamilie Besuch von Fremden.

Das ganze läuft sehr unkompliziert und unbürokratisch ab. Schon am nächsten Morgen um 9 Uhr holt mich Manuel, der Vater meiner
Gastfamilie, in Coban ab. Leider hat sich meine Hoffnung auf besseres Wetter nicht erfüllt, und es regnet immer noch in Strömen. Ich bekomme noch ein Paar Gummistiefel und dann marschieren wir quer durch die Stadt zum Busbahnhof. Eine halbe Stunde später sind wir in San Pedro Carcha. Hier müssen wir umsteigen. Leider fährt unser Bus nach San Lucas erst in zwei Stunden. Zwei Stunden in einem dieser kleinen Busbahnhofsrestaurants kommt einem wie eine kleine Ewigkeit vor. Ich ziehe es vor, noch mal ins Zentrum von Carcha zu laufen, um ein paar Geschenke für die sechs Kinder der Familie zu besorgen.
Ich kaufe ein paar Malbücher mit Fussballmotiven, Schreibhefte und Farbstifte. Irgendwann sitzen wir dann endlich im Bus und alles spricht dafür. dass es gleich losgehen müsste. Aber Busse fahren hier erst los, wenn sie voll sind. Das Wort "voll" ist hier ein sehr dehnbarer Begriff. Ab dem Zeitpunkt, als ich fand, der Bus wäre jetzt aber rappelvoll, sind etwa noch einmal so viele Leute zugestiegen, bis er sich dann endlich in Bewegung setzte. Erstaunlich, wie gelassen die Menschen hier mit Gedränge umgehen.
Eine wilde Schotterpiste schlängelt sich durch die Berge von Alta Verpaz und ist teilweise in einem derart schlechten Zustand, dass ich jeden Moment damit rechne, aussteigen und schieben zu müssen. Die Landschaft ist beeindruckend und die Busfahrt ein Erlebnis für sich. Während der Fahrt springt plötzlich ein Truthahn vom Dach und versucht seinem Schicksal im letzten Moment noch zu entfliehen. Sofort hetzt eine Meute hinter ihm her und beendet den kurzen Ausflug in die Freiheit. Wenigstens darf er den Rest der Fahrt auf dem Schoss seiner Besitzerin verbringen.
![]() |
Auf dem Weg nach Chicanab |
![]() |
Hier oben helfen nur Gummistiefel |
Dann wandern wir etwa eine Stunde in knöcheltiefem Schlamm über steile Grashänge hoch bis wir den Rand des Nebelwaldes erreichen. Es ist eine faszinierende Welt aus ineinander verschlungen Pflanzen, mächtigen Baumriesen, Blättern in allen möglichen Grüntönen und riesigen Farnen.
Es beginnt schon zu dämmern, als wir das Haus meiner Gastfamilie erreichen. Ich habe ein kleine Hütte für mich, auf vier Pfählen gebaut und über eine eigenartige Leiterkonstruktion erreichbar. Das Bett ist ein Holzbrett mit einer dünnen Auflage. Es gibt weder Strom noch fliessendes Wasser. Der Weg zum Klo ist eigentlich schon eine kleine Wanderung. Die Ausblicke auf die umliegenden Berge sind fantastisch. Zur Begrüßung gibt es eine Tasse warmes Wasser. Dann kommt seine Frau und erkennt wohl auf den ersten Blick, dass ihr Mann getrunken hat. Auch ohne, dass ich ein Wort Queqchi verstehe, glaube ich dem Dialog zwischen den beiden, gut folgen zu können.

Er zählt irgendetwas auf. Wahrscheinlich Bohnen, Tortillas und Eier. Verärgert verschwindet die Frau, die übrigens kein Wort spanisch spricht, wieder hinter dem Vorhang, der die Küche und den Wohnraum voneinander trennt. Damit bin ich mitten im Familienleben einer 10koepfigen Queqchi-Maya-Familie angekommen.
Dann lerne ich die Kinder kennen. Pedro, Diego, Juan, Herman und Jorge, zwischen 6 und 15 Jahre alt. Der älteste Sohn hat Arbeit in Guatemala City gefunden und kommt nur noch manchmal zu Besuch. Seine Frau lebt mit einem Kleinkind auch hier oben.
Vor allem die drei jüngeren Kinder sind so begeistert von meinen Geschenken, dass sie in den nächsten Tagen viele Stunden damit verbringen Fussballbilder auszumalen. Dabei scheinen sie oft so
vertieft in ihre Arbeit, dass sie nichts
davon wahrnehmen, was um sie herum passiert.

Die Tage enden früh in Chicanab und so krieche ich schon um 9 in die Federn.
"Marcos, Quetzal!" "Marcos, Quetzal!" Schon um sechs Uhr morgens steht Manuel vor meiner Hütte und reisst mich aus dem Schlaf. Hätte ich gewusst, wie rar sich dieser Vogel in den nächsten Tagen machen wird, wäre ich schneller aus den Federn gesprungen. Auf dem folgenden einstündigen Spaziergang durch den Wald war natürlich kein Quetzal mehr zu sehen.
Dann wieder Bohnen und Eier zum Frühstück. Anschliessend wandern wir hoch zu einem Aussichtspunktv von dem man einen gewaltigen Rundblick auf die hügelige Landschaft hat. Am Horizont kann man Coban und San Pedro Carcha erkennen, kaum 40 km Luftlinie entfernt. Mit Manuels Kindern lebt schon die vierte Generation der Familie hier oben im Nebelwald von Chicanab. Vor die Strasse nach San Lucas gebaut wurde, ist man regelmäßig die 40 km nach Coban gelaufen, um auf dem Markt einzukaufen.
Die Natur ist hier oben das einzige Unterhaltungsprogramm und so verbringe ich die nächsten Tage mit ausgedehnten Wanderungen durch die märchenhaften Wälder.
![]() |
Männlicher Quetzal |
![]() |
Manuel auf der Suche nach einem Quetzal |

An meinem zweiten Tag bei Familie Yaxcal haben die Kinder schulfrei. Ihre Begeisterung ist aber sehr verhalten, und es wird mir auch schnell klar warum. Sie arbeiten den ganzen Tag im Maisfeld, schleppen Holz aus dem Wald oder holen Wasser aus einem nahe liegenden Bach. Kinder müssen hier früh zum Wohl der Familie beitragen. Trotzdem wirken sie fröhlich und zufrieden. Die Schule befindet sich weit unten im Tal. Ungefähr 1 1/2 Stunden laufen sie jeden Tag hin und zurück.
Normalerweise bleiben Fremde zwei Tage hier. Für mich ist dieses Erlebnis so beeindruckend, dass ich beschliesse noch mindestens 2 Tage länger zu bleiben. Auch ein wenig in der Hoffnung, dass das Eis zwischen mir und der Familie etwas bricht.
Tatsächlich bekomme ich erst am vierten Tag die Gelegenheit mit der Familie in der Küche zu essen. Die Atmosphäre in diesem Raum ist unbeschreiblich. Im Kreise dieser Familie um das offene Feuer zu sitzen, gehört zu jenen Momenten, der die ganze Faszination des Reisens in sich vereint.
![]() |
Maistortillas |
![]() |
Pedro, Diego und Juan |
Auch in Lateinamerika ist man ist man ganz selten 4 Tage an solch isolierten Orten. Es gibt hier keinerlei Unterhaltung, dafür Zeit und Musse im Überfluss. Auf den langen Wanderungen habe ich die Gelegenheit einige Quetzale zu beobachten. Leider gelingt mir kein einziges gutes Foto. Quetzale schiessen entweder wie Pfeile durch die Luft oder sie sitzen hoch oben in den Bäumen. Noch dazu sind sie nur früh morgens oder spät abends aktiv. Dieser Vogel ist wirklich von erhabener Schönheit.
Der einzige Bus zurück nach Coban fährt schon um halb sieben Uhr morgens. Diego begleitet mich zur Haltestelle. Wir laufen schon um 5 im Schein meiner Stirnlampe los. Langsam erwacht der Wald zum Leben und am Horizont taucht die aufgehende Sonne die Landschaft in ein zauberhaftes rot.
![]() |
Das Klo - Gewöhnungsbedürftig! |